Trauma und Körper

Viele Menschen leiden unter Verspannungen, Schmerzen oder einer angestrengten Haltung, die sich trotz Therapieansätzen kaum verbessern. Oft wird die Einbeziehung von unverarbeitetes Traumas in Bezug auf körperlichen Beschwerden vernachlässigt.

In der Sitzung sitzen oder liegen?

Bei traumatisierten Menschen bleibt häufig eine subtile, unterschwellige Anspannung bestehen, selbst in entspannten Situationen. Der Körper reagiert so, als wäre die Umgebung unsicher – dies zeigt sich zum Beispiel durch Überfokussierung beim Betreten eines Raums, ohne sich darin zu orientieren. Körperlich wird dies oft begleitet von flacher Atmung, kühler Haut und eingeschränkter Anpassungsfähigkeit. In der therapeutischen Praxis ist es daher hilfreich, auch im Sitzen oder Stehen zu arbeiten, um Orientierung und Sicherheit zu fördern, während Liegen Gefühle der Überforderung oder sogar Dissoziation hervorrufen kann.

Beispielsweise kam eine Klientin, die starke Rücken- und Nackenschmerzen hatte, in die Therapie. Anfangs war sie kaum in der Lage, ihre Umgebung wahrzunehmen und hielt ihren Körper permanent angespannt. Durch das Arbeiten im Sitzen und gezielte Orientierung im Raum konnte sie allmählich ihre Haltung entspannen und Schmerzen reduzieren.

Auge, Innenohr, Füße und Haltung

Trauma führt häufig zu einer verzerrten Wahrnehmung: Der eigene Körper fühlt sich zweidimensional an, die Füße nehmen den Kontakt zum Boden nicht vollständig wahr, und die Sinne, vor allem die Augen, sind stark fokussiert. Auge, Innenohr und Füße bilden zusammen eine wichtige Wahrnehmung zur Ausrichtung unserer Haltung. Wenn diese Wahrnehmungssysteme im Gleichgewicht sind, kann sich der Körper leichter anpassen und eine entspannte und zugleich geerdete Haltung einnehmen.

Chronische Enge als Sicherheit

Unverarbeitete Traumata manifestieren sich oft als chronische Enge und Anspannung, welche paradoxerweise als einzige zuverlässige Sicherheit empfunden wird. Das Loslassen dieser Spannung kann mit großer Angst verbunden sein, besonders für früh traumatisierte Menschen. Die dabei entstehende Weite wird oft als bedrohliche Leere empfunden.

Ein heller Therapieraum mit einem Tisch und einer brennenden Kerze im Vordergrund.

Trauma und Atmung – das Zwerchfell im Fokus

Menschen mit nicht verarbeiteten Traumata atmen oft flach, da das Zwerchfell – unser Haupt Atemmuskel – verkrampft ist. Angst verhindert das Loslassen im Zwerchfell, wodurch tiefer Atem erschwert wird. Atemübungen können dabei helfen, das Zwerchfell zu aktivieren, Spannungen abzubauen und Sicherheit im Körper zurückzugewinnen.

Erdanziehung als Quelle von Stabilität

Die konstante Kraft der Erdanziehung bietet eine natürliche Stabilität und ermöglicht Vertrauen in die Tragfähigkeit des eigenen Körpers. Sie unterstützt uns dabei, alte Spannungsmuster loszulassen und Sicherheit zu erleben.

Heilungsprozess – vom Bewusstsein zur Sicherheit

Die therapeutische Arbeit beginnt mit dem Bewusstwerden der chronischen Anspannung. Schritt für Schritt wird Raum geschaffen – körperlich und emotional – um Spannungen abzubauen, Vertrauen zu entwickeln und eine gesunde Haltung zu fördern. Ziel ist es, diesen Raum nachhaltig mit einem tiefen Gefühl von Sicherheit zu verbinden.

Innere Stabilität in der sozialen Welt

Eine stabile innere Haltung stärkt uns auch im Umgang mit anderen Menschen. Sie ermöglicht es uns, in einer polarisierten Welt unsere Meinung klar zu vertreten und gleichzeitig die Perspektiven anderer gelten zu lassen, ohne dabei unsere eigene Sicherheit zu verlieren.

Wie kann Körpertherapie helfen?

Die Heilung von Trauma ist ein ganzheitlicher Prozess, der Bewusstsein, körperliche Stabilität und emotionale Sicherheit umfasst. Durch gezielte therapeutische Arbeit können chronische Spannungen gelöst werden, was langfristig zu einer entspanntere Haltung, tieferer Atmung und gesteigerter Lebensqualität führt.

Beispiel aus der therapeutischen Arbeit.

Hier ist ein praktisches Beispiel für einen typischen therapeutischen Verlauf in der körperorientierten Psychotherapie:

Beispiel eines Klienten: „Alexander“*anoymisiert

Alexander, 42 Jahre, kommt mit chronischen oberen Rückenschmerzen, ständig angespannter Haltung und eingeschränkter Atmung in die Praxis. Er berichtet, sich oft innerlich unruhig, gestresst und wenig geerdet zu fühlen.

Schritt 1: Bewusstsein schaffen

Wir arbeiten daran, bewusst wahrzunehmen, wie er seinen Körper hält. Er merkt schnell, dass er seine Schultern ständig hochzieht, flach atmet und sein Gewicht kaum auf seine Füße verteilt.

Schritt 2: Zusammenhang von Emotionen und Haltung erkennen

Im Laufe der Therapie erkennt Alexander, dass seine hochgezogenen Schultern mit innerer Anspannung und Angst verbunden sind, die er seit seiner Kindheit kennt. Durch Körperübungen und das gezielte Hinspüren in diese Bereiche nimmt er wahr, wie eine alte Angst und Sorgen mit der Anspannung verbunden sind.

Schritt 3: Sicherheit und Erdung finden

In weiteren Sitzungen arbeitet Alexander mit gezielten Atemübungen und achtsamer Berührung. Er lernt bewusst, seinen Atem tiefer ins Zwerchfell fließen zu lassen. Dabei erfährt er, dass die Stabilität des Bodens ihn tragen kann. Sein Nervensystem beruhigt sich zunehmend, wodurch sich seine Körperhaltung entspannt.

Schritt 4: Neue Haltung verinnerlichen

Mit zunehmender Sicherheit und Selbstvertrauen bemerkt Alexander, wie er im Alltag bewusster und aufrechter stehen und gehen kann. Er versteht, dass seine Körperhaltung eng mit seinem emotionalen Zustand zusammenhängt. Durch Achtsamkeitsübungen erkennt er frühzeitig, wenn sich alte Muster zeigen, und kann bewusst gegensteuern.

Schritt 5: Übertragung ins tägliche Leben

Im Alltag praktiziert Alexander weiterhin Übungen, um bewusst seine Haltung und Atmung zu regulieren. Er erlebt weniger Schmerzen, mehr Klarheit im Denken und fühlt sich emotional ausgeglichener. Das veränderte Körperbewusstsein hilft ihm, mit stressigen Situationen umzugehen und innerlich stabiler zu bleiben.


„Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.“ 

Christian Morgenstern

Quellen

Fachbücher und Klassiker:

• Peter A. Levine:

Trauma-Heilung. Das Erwachen des Tigers.

(Grundlagen der Traumaarbeit nach Levine)

• Bessel van der Kolk:

Verkörperter Schrecken. Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann.

(Fundierte Verbindung von Trauma und Körperarbeit)

• Stephen W. Porges:

Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit.

(Theorie zur neuronalen Grundlage von Traumareaktionen)

Wissenschaftliche Artikel und Studien:

• Robert Schleip:

Faszien in Sport und Alltag (Artikel und Studien zu Faszien, Haltung und Körperarbeit)

• Pat Ogden:

Trauma und Körper

(Integration von Körpertherapie und Traumatherapie)

Konzepte und Theorien:

• Polyvagaltheorie (Porges, Levine):

Erklärt das Nervensystem und Trauma-Reaktionen auf physiologischer Ebene.

• Pilates & Core-Stabilität:

Joseph Pilates’ Konzepte zur Haltung und körperlichen Stabilität, insbesondere zur Rolle des Zwerchfells und der Atmung.

Institutionen:

• traumatherapie.de (Deutsches Institut für Traumatherapie)

• fasciaresearch.de (Faszienforschung Robert Schleip)

Hinweis: Dieser Artikel beruht auf fachlicher Erfahrung und reflektiert eine körpertherapeutische Perspektive. Die genannten Quellen dienen der Vertiefung und Anregung.

Portraet eines Mannes in Berlin, der Koerpertherapie anbietet.

Über den Autor

Steffen Arndt ist Heilpraktiker für Psychotherapie und Physiotherapie mit über 20 Jahren Erfahrung in der Begleitung von Menschen mit körperlichen und seelischen Beschwerden.

In seiner Arbeit verbindet er fundiertes Wissen aus Anatomie, manueller Therapie und somatischer Psychotherapie. Seine Schwerpunkte liegen in der Arbeit mit Trauma, psychosomatischen Beschwerden sowie Depression und Angstzuständen.

Was ihn auszeichnet: Achtsamkeit, Klarheit – und die Überzeugung, dass nachhaltige Veränderung dort beginnt, wo der Körper mit einbezogen wird.