Du musst durchhalten! Manchmal besser nicht.

Warum wir lernen sollten, unserem Körper zuzuhören – und wie Körpertherapie helfen kann
„Du musst nur durchhalten.“ – Dieser Satz klingt für viele vertraut, und ist gefährlich, wenn er zum Dogma wird.
Ja, manchmal ist Durchhalten notwendig. Ohne Ausdauer gäbe es keine Doktorarbeiten, keine künstlerischen Werke, keine beendeten Therapien, keine tiefe Veränderung. Doch wenn das Durchhalten zum Dauerzustand wird, wenn es zur einzigen Strategie im Umgang mit Überforderung wird, dann kippt es: vom mutigen Weitermachen zur Selbstverleugnung.
Viele Menschen funktionieren – obwohl der Körper längst Alarm schlägt. Sie ignorieren Schmerzen, Schlaflosigkeit oder emotionale Erschöpfung, weil sie gelernt haben, dass Aufgeben keine Option ist. In einer Gesellschaft, die Leistung über Gesundheit stellt, wird Selbstvernachlässigung oft als Tugend verkauft.
Doch was, wenn unser Körper nicht unser Feind ist, sondern u.a. unser Frühwarnsystem?
In diesem Beitrag geht es darum, wie Stress sich im Körper manifestiert, warum wir die Sprache unseres Körpers ernst nehmen sollten – und wie Körpertherapie helfen kann, wieder in eine gesunde Balance zwischen Durchhalten und Loslassen zu finden.

Was ist chronischer Stress – und wie äußert er sich körperlich?
Stress beginnt nicht im Kopf, sondern im autonomen Nervensystem. Evolutionsbiologisch ist er eine wichtige Überlebensreaktion bei Gefahr: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Diese Reaktionen laufen körperlich ab – ob wir wollen oder nicht. Bleiben sie jedoch über längere Zeit aktiv, wirkt sich das massiv auf unsere Gesundheit aus.
Typische körperliche Symptome chronischen Stresses sind:
- Muskelverspannungen (Nacken, Schultern, Kiefer)
- Herzrasen, Engegefühl im Brustkorb
- Magen-Darm-Beschwerden, Appetitlosigkeit oder Heißhunger
- Schlafprobleme und ständige Erschöpfung
- Reizbarkeit, Gereiztheit, „wie neben sich stehen“
Diese Stressreaktionen sind nicht nur unangenehm – sie schwächen auch das Immunsystem, erhöhen Entzündungswerte im Körper und begünstigen langfristig psychosomatische oder auch chronische Erkrankungen.
Psychosomatische Beschwerden sind oft das Ergebnis von Dauerstress, den der Körper nicht mehr kompensieren kann.
„Der Körper ist unbestechlich. Er verrät uns, was der Verstand nicht wahrhaben will.“
Alice Miller, Psychoanalytikerin und Autorin zum Thema Kindheitswunden
Wie Körpertherapie bei Burnout helfen kann
Burnout ist nicht nur ein Zustand der Erschöpfung – es ist das Resultat eines dauerhaft überlasteten Nervensystems. Wenn das Gefühl entsteht, innerlich ausgebrannt zu sein, braucht es mehr als Erholung: Der gesamte Organismus muss sich neu orientieren und regulieren.
Körpertherapie kann dabei auf mehreren Ebenen unterstützen:
1. Das Nervensystem beruhigen
Viele Betroffene befinden sich im Dauerstress oder in einem Zustand der Erstarrung. Durch sanfte körpertherapeutische Impulse – wie Atemarbeit, langsame Bewegung oder respektvolle Berührung – wird der parasympathische Teil des Nervensystems aktiviert. Das unterstützt tiefe Erholung und ein Gefühl von Sicherheit.
2. Körperempfinden wiederherstellen
Im Burnout fühlen sich viele Menschen wie „abgeschaltet“ oder „taub“. Körpertherapie hilft, sich wieder selbst zu spüren – ohne zu überfordern. Das kann das Erleben von Lebendigkeit und Zugehörigkeit stärken.
3. Selbstfürsorge und Grenzempfinden stärken
Wer im Burnout ist, hat oft jahrelang eigene Grenzen ignoriert. In der Körpertherapie werden diese Grenzen wieder erfahrbar – durch achtsame Körperarbeit und bewusste Wahrnehmung. Das unterstützt eine neue Beziehung zu sich selbst.
Darüber hinaus kann Körperarbeit dazu beitragen, dass der Körper nicht länger als „Problem“ empfunden wird, sondern wieder als wohltuender Ort erlebt wird. Selbst Empfindungen wie Müdigkeit oder Erschöpfung verlieren in diesem Rahmen ihren bedrohlichen Charakter – sie dürfen da sein. In einem geschützten therapeutischen Raum werden sie nicht als Schwäche, sondern als Einladung zum Ausruhen verstanden – und damit zu einem ersten Schritt Richtung Heilung., sondern auch zur Begleitung und Stabilisierung im Burnout ein kraftvoller Weg – gerade dann, wenn Worte nicht mehr reichen.
Burnout ist kein plötzlicher Einbruch – er ist das Ergebnis eines langen Prozesses der Selbstüberforderung und Selbstentfremdung. Die meiste Zeit über blendet der Kopf aus, was der Körper längst spürt.
Körpertherapie bei Stress und Erschöpfung setzt genau hier an. Sie ermöglicht:
- ein neues Spüren von Körpergrenzen
- das Lösen chronischer Spannungen
- eine Verlangsamung auf nervlicher Ebene
- den Körper als wohltuenden Ort erleben
Im Gegensatz zu rein kognitiven Ansätzen wird hier nicht nur über Stress gesprochen – er wird körperlich erfahrbar. Viele Menschen erleben zum ersten Mal, wie sich Entspannung wirklich anfühlt. Das verändert auch die Fähigkeit, im Alltag besser auf sich zu achten.
Atmung und Berührung: zwei Wege zur Stressregulation
1. Atmung – der schnellste Zugang zum Nervensystem
Die Atmung ist eine Brücke zwischen Körper und Psyche. Sie reagiert unmittelbar auf Stress – und kann umgekehrt genutzt werden, um das Nervensystem zu beruhigen.
Tiefe, bewusste Atemzüge aktivieren den Vagusnerv und fördern den parasympathischen Zustand: Ruhe, Regeneration, Sicherheit.
Studien zeigen, dass regelmäßige Atemarbeit Angst, Stress und depressive Symptome deutlich reduzieren kann.
Atemübungen bei Stress können so zu einem kraftvollen Werkzeug der Selbstregulation werden – jederzeit und überall anwendbar.
2. Berührung – das vergessene Grundbedürfnis
Achtsame, respektvolle Berührung ist mehr als Körperkontakt – sie ist Regulation.
Sie vermittelt: Ich bin sicher. Ich bin gesehen. Ich bin nicht allein.
Dabei wird Oxytocin freigesetzt – ein Hormon, das nachweislich Stress senkt, Vertrauen stärkt und soziale Verbundenheit fördert.
In einer Zeit, in der Berührung oft entweder sexualisiert oder komplett vernachlässigt wird, ist professionelle körpertherapeutische Berührung ein zutiefst menschlicher Heilungsimpuls.

„Berührung ist Medizin – sie wirkt beruhigend, heilend und stärkt die Verbindung zu uns selbst.“
– Kerstin Uvnäs Moberg, aus „Oxytocin: Das Hormon der Nähe und Verbundenheit“
Fazit: Der Körper ist nicht das Problem – er ist Teil der Lösung
Unser Körper ist nicht unser Feind, sondern unser Verbündeter. Er zeigt früh, wenn etwas aus dem Gleichgewicht gerät. Statt ihn zu betäuben, zu übergehen oder zu optimieren, können wir lernen, mit ihm in Kontakt zu kommen.
Körpertherapie bei Stress, Burnout oder chronischer Erschöpfung bietet einen Raum, in dem das möglich ist – jenseits von Leistungsdruck, jenseits von „funktionieren müssen“. Sie hilft uns, feiner zu spüren, wann es Zeit ist, dranzubleiben – und wann es klüger ist, einen Schritt zurückzugehen.
Denn: Gesund durchhalten ist möglich – wenn wir dabei mit dem Körper statt gegen ihn arbeiten.
Wer lernt, sich selbst wieder zu spüren, muss nicht warten, bis der Körper laut wird.
Er kann früher handeln – und damit gesünder, lebendiger und verbundener leben.
Weiterführende Literatur & Quellen
- Stephen W. Porges (2022): Die Polyvagal-Theorie in der Therapie. Sicherheit und Selbstregulation im Dialog.Junfermann Verlag.
- Gabor Maté (2018): Wenn der Körper Nein sagt: Die verborgenen Kosten von Stress. Arkana Verlag.
- Hans Selye (1981): Stress ohne Distress. Urban & Schwarzenberg.
- Michaela Huber (2021): Trauma und die Folgen: Traumatherapie, körperorientierte Ansätze und Stabilisierung. Schattauer Verlag.
- Kerstin Uvnäs Moberg (2022): Oxytocin: Das Hormon der Nähe und Verbundenheit. Kösel Verlag.
- Frank Röhricht (Hrsg.) (2007): Körperorientierte Psychotherapie: Grundlagen, Methoden, Anwendungsfelder. Schattauer Verlag.
Hinweis: Dieser Artikel beruht auf fachlicher Erfahrung und reflektiert eine körpertherapeutische Perspektive. Die genannten Quellen dienen der Vertiefung und Anregung.