Angst und Panik aus Sicht der Körpertherapie: Wenn der Körper Alarm schlägt

„Ich habe viele Katastrophen in meinem Leben erlebt. Die meisten davon sind nie eingetreten.“ – Mark Twain.
Angst warnt uns vor Gefahr. Sie macht uns wach, mobilisiert. Doch was, wenn sie uns ohne erkennbaren Grund überrollt? Wenn der Körper im Alltag Alarm schlägt – im Supermarkt, in der U-Bahn, nachts im Bett? Dann wird aus Schutz eine Bedrohung.
Viele sagen: „Ich weiß, dass ich gerade nicht bedroht bin. Aber mein Körper glaubt es nicht.“

Der Körper vergisst nicht
In der Körpertherapie gilt der Körper als Speicher. Verspannungen, Atemmuster, Haltung – oft Ausdruck früher Angst oder Überforderung, die damals nicht gespürt oder gelebt werden konnte. Und genau deshalb auch nicht verdaut und integriert. Panik wirkt dann wie ein Echo: Der Körper ruft „Gefahr!“, obwohl objektiv nichts Bedrohliches da ist
Nicht die Angst „bekämpfen“, sondern ihr mit offenem Gewahrsein begegnen – sie zu durchfühlen, ohne sich mit ihr zu identifizieren.
Mit dem Körper arbeiten, nicht gegen ihn
Körpertherapie nutzt das, was im Moment spürbar ist: Zittern, Enge, Atem, Bewegung. Nicht, um es zu stoppen, sondern um Kontakt herzustellen. Einfache Schritte: Atem verfolgen, innere Bewegungen zulassen, sicheren Boden spüren. Ich bringe als Therapeut meinen eigenen Körper mit: reguliert, präsent, verbunden. Das allein kann Sicherheit schaffen.
Berührung spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie hilft nicht nur, sich selbst wieder zu spüren, sondern vertieft das Verständnis: Der Körper begreift unmittelbar, was Worte allein oft nicht erreichen. Wenn eine Stimme sagt „Du bist sicher“, bleibt das oft abstrakt. Doch wenn gleichzeitig eine achtsame Berührung spürbar ist, kann das Nervensystem die Wahrhaftigkeit dieser Botschaft aufnehmen. Berührung hilft, Muskeln zu entspannen, mehr Raum im Körper zu schaffen – und zu erleben: Hier ist jemand, dessen Körper ruhig und verbunden ist. Das überträgt sich. Und verändert etwas.

Angst vor der Angst
Viele fürchten nicht nur die Angst selbst, sondern auch ihr Wiederkommen. Schon ein schneller Puls reicht, und der Kopf denkt: „Jetzt geht’s wieder los.“ So entsteht ein Teufelskreis: Die Angst vor der nächsten Attacke erzeugt Anspannung, die körperliche Symptome verstärkt. Um das zu vermeiden, beginnen viele, bestimmte Situationen, Menschen oder Orte zu meiden. Die Welt wird enger, das Vertrauen in den eigenen Körper nimmt ab.
Körpertherapie setzt genau hier an: Sie hilft, die ersten Signale bewusst wahrzunehmen – bevor die Spirale losgeht. So kann Sicherheit im Körper wiederentdeckt und langsam aufgebaut werden. Nicht durch Vermeidung, sondern durch Kontakt.
Angst oder Aufregung?
Mit der Zeit verschiebt sich die Bewertung. Was früher wie Panik wirkte, wird als Aufregung, Spannung oder Lebendigkeit erkannt. Der Unterschied liegt nicht nur in der inneren Haltung, sondern auch im Körper selbst: Die physiologischen Prozesse – schneller Puls, angespannte Muskeln, erhöhter Blutdruck – bekommen mehr Raum. Durch diese Verkörperung können sie besser reguliert und verdaut werden. Ziel der Therapie ist es, diesen Unterschied erfahrbar zu machen – damit Aufregung nicht mehr automatisch als Gefahr gelesen wird.
Kontakt statt Kontrolle
Angst will nicht bekämpft werden. Sie will gehört, gespürt, begleitet werden. Körpertherapie bietet dafür einen Raum. Hier geht es nicht um schnelle Lösungen, sondern um echten Wandel: vom Kampf zur Beziehung.
Nicht weglaufen – sondern da bleiben. In der Panik liegt, manchmal ein Tor: Wenn nichts mehr kontrollierbar ist, bleibt nur die radikale Gegenwart.
Quellen
- Peter A. Levine: Sprache ohne Worte. Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt
- Deb Dana: Die Polyvagal-Theorie in der Therapie
- Bessel van der Kolk Verkörperter Schrecken. Trauma heilen: Neurobiologie und Wege zur Heilung
- Søren Kierkegaard: Der Begriff Angst Ein Klassiker der Existenzphilosophie. Kierkegaard versteht Angst nicht als Störung, sondern als Ausdruck von Freiheit – sie entsteht im Angesicht der Möglichkeit, zu wählen.
Hinweis: Dieser Artikel beruht auf fachlicher Erfahrung und reflektiert eine körpertherapeutische Perspektive. Die genannten Quellen dienen der Vertiefung und Anregung.